Fraunhofer UMSICHT
Digitalisierung als Schlüsseltechnologie der Energiewende
»Energie im Wandel« lockte Teilnehmende aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nach Oberhausen. »Strom als Rohstoff« stand bei der Premiere 2015 auf dem Programm. Zwei Jahre später drehten sich die Vorträge um Sektorenkopplung. »Heute befassen wir uns mit der Digitalisierung und können – wie ich finde – von einer kleinen Tradition sprechen.« Mit diesen Worten eröffnete Prof. Christian Doetsch die dritte Auflage der Tagung »Energie im Wandel« in Oberhausen. Dabei begrüßte der Leiter des Bereichs Energie am Fraunhofer UMSICHT Teilnehmende aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die gemeinsam digitale Ansätze und Lösungen rund um die Energiewende diskutierten.
Die von Dr. Stefan Rabe (Cluster EnergieForschung NRW) moderierten Keynotes starteten mit einem Blick in die Zukunft. »Die Schere zwischen Mensch und Maschine geht immer weiter auseinander«, prognostizierte Prof. Wolf Ketter, »und irgendwann wird es normal sein, dass Menschen und Künstliche Intelligenz zusammenarbeiten.« Die Radiologie beispielsweise werde nur noch zu 10 Prozent mit Ärztinnen und Ärzten besetzt sein, da KI Auffälligkeiten wie Tumore schneller und zuverlässiger erkennen könne.
Doch der Direktor des Energiewissenschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) warnte auch vor sogenannten »unintended consequences« des technologischen Fortschritts – zum Beispiel im Bereich Elektromobilität. »Was passiert, wenn wir unsere E-Autos alle zur selben Zeit laden? Und wie gehen wir mit dem Thema Stau um? Schließlich wird sich die Zahl der Fahrzeuge auf unseren Straßen nicht verringern…« Seine Empfehlungen: verstärkt sowohl eine »shared economy« propagieren als auch auf »machine-to-machine-agents« setzen, die das Verkehrssystem autonom gestalten und dabei u. a. optimale Mobilitätswege erarbeiten.
»Auf dem Weg zur Energiewende müssen alle mit anpacken«
Mit einem Appell startete Carsten Beier seinen Vortrag. »Die Energiewende stagniert. Wir haben nur noch 10 Jahre Zeit, um das System umzustellen, und müssen dringend vom Wissen zum Handeln kommen.« Dabei sah der UMSICHT-Wissenschaftler sowohl Wirtschaft und Politik als auch Bürgerinnen und Bürger in der Pflicht und schlug einen gesellschaftlichen Diskurs vor, der alle an einen Tisch bringt. »Auf dem Weg zur Energiewende müssen alle mit anpacken. Wir brauchen neue Strukturen, Regularien und jede Menge Power – in mehr als einer Hinsicht.«
Konkret sprach Beier von zwei möglichen Optionen: der Senkung des Energieverbrauchs und dem Ausbau erneuerbarer Energien. »In der Folge wird unser Energiesystem komplexer und dynamischer. Schließlich müssen dezentrale Anlagen die Funktion von Großkraftwerken übernehmen.« Das heißt: Stromerzeugung, -netze, -nutzung und Märkte sowie Wärme, Kälte, Mobilität und Produktion müssen gemessen, gesteuert, geregelt, simuliert, optimiert, prognostiziert und koordiniert werden. »Und hier kommt die Digitalisierung ins Spiel. Sie ist in meinen Augen die Schlüsseltechnologie zur erfolgreichen Energiewende.«
Neues Fraunhofer-Zentrum erforscht »Digitale Energie«
Weiter ins Detail ging Prof. Stefan Decker. Der Direktor des Fraunhofer FIT und Professor an der RWTH Aachen betonte in seinem Vortrag, dass Digitalisierung und Automatisierung zukünftige Handlungsstränge der Energiewende seien. »Es gilt, akteursübergreifende Informationssysteme und -technologien zu integrieren«, fasste er zusammen. »Um Energieversorgungssysteme zu planen und zu betreiben, müssen darüber hinaus digitale Abbilder zur Systementwicklung und Sektorenkopplung geschaffen werden.«
Hier setze das in Gründung befindliche Fraunhofer-Zentrum »Digitale Energie« an. Unter dem Dach des Fraunhofer FIT bringe es Forschungseinrichtungen und Wirtschaft zusammen, um IT-Sicherheit, Digitalisierung und Finanzierung der Energieversorgung zu fördern. Wie diese Zusammenarbeit aussehen kann, stellte Prof. Decker an verschiedenen Projektbeispielen vor. Eines davon trägt den Namen »Pebbles« und verfolgt das Ziel, eine Blockchain-basierte Plattform für den lokalen Energiehandel zu entwickeln.
Die Digitalisierung der Energiewirtschaft braucht Technologieoffenheit und Wettbewerb
Um den Beitrag, den die Digitalisierung für Energiewirtschaft und Energienetze leisten kann, drehte sich der Vortrag von Prof. Christian Rehtanz von der TU Dortmund. »Ohne Digitalisierung wäre die Liberalisierung des Strommarktes nicht möglich gewesen«, erklärte der Wissenschaftler. »Die nächste Stufe ist die Hochautomatisierung von Betriebsführungs- und Marktprozessen zur Beherrschung von Komplexität und Volatilität.«
Diese Entwicklung stelle u. a. die – im Grunde schon sehr digitalisierten – Netzleitwarten vor neue Herausforderungen. Wie gelingt beispielsweise die Verknüpfung mit Sekundärdaten wie Wetterprognosen? Was soll in einem zunehmend dezentral aufgestellten Energiesystem über die Leitstellen laufen? Und welche Rolle können und dürfen Daten spielen, die über Smart Meter gewonnen werden? »Wir brauchen Technologieoffenheit und einen Wettbewerb der Technologien«, beantwortete Prof. Rehtanz einen Teil dieser Fragen. »Wir müssen Hard- und Software trennen und sowohl auf eine modulare Architektur mit Drittanbieter-Funktionen als auch hochautomatisierte Teilprozesse setzen.«
Science-Slammer sorgt für launigen Ausklang
Im Anschluss an die Keynotes ging es in zwei nacheinander laufenden Sessions um konkrete Möglichkeiten der Digitalisierung sowie die Einbindung von Akteuren und den Megatrend Digitalisierung. Tobias Grau (Stadtwerke Essen AG) berichtete beispielsweise aus der Praxis eines Stadtwerkes, während Peter Schmidt (Wattvolt e. V.) auf die Rolle einging, die Energiegenossenschaften und Shared Energy Consumption für die Umsetzung der lokalen Energiewende spielen.
Zum Tagungsabschluss gab es dann noch eine kleine Premiere: Mit Martin Buchholz beteiligte sich zum ersten Mal ein Science-Slammer am Veranstaltungsprogramm. Unter dem Titel »Wie verschwendet man etwas, das nicht weniger werden kann?« beleuchtete er die Energiewandelbarkeit und ihre Grenzen. Sein augenzwinkernder Vortrag sorgte dafür, dass die Teilnehmenden mit einer groben Vorstellung davon nach Hause gingen, was sich hinter Entropie verbirgt und warum Kraftwerke immer einen Kühlturm brauchen.
Die Tagung
Hinter der Tagung »Energie im Wandel« stehen das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT und der Cluster EnergieForschung der EnergieAgentur.NRW. Die Veranstaltungsreihe richtet sich an Personen aus den Bereichen Geschäftsführung, Betriebsleitung, Medien, technische Planung und Beratung sowie an Entscheider*innen in der öffentlichen Verwaltung, Klimaschutzbeauftragte, an Mitarbeiter*innen aus Forschung und Entwicklung sowie an fachlich Interessierte.